Reinheitsgebot. Irrige Annahmen „geistern“ durch die Bierwelt. Zum Beispiel: Das Reinheitsgebot sei das älteste noch gültige Lebensmittelgesetz der Welt. Tatsächlich wurde das marketingmäßig mit „Reinheitsgebot“ bezeichnete Biergesetz 1987 außer Kraft gesetzt, weil es mit EU-Recht unvereinbar ist. 2005 wurde auch das „vorläufige Biergesetz“ von 1993 gekippt – nur die zugehörige Durchführungsverordnung ist weiterhin gültig.
Das Thema ist überaus komplex. Um es erschöpfend zu behandeln, müsste ein dicker Wälzer geschrieben werden. Also haben wir uns hier auf die 13 wichtigsten Irrtümer konzentriert, die im Zusammenhang mit der Durchführungsverordnung zum vorläufigen Biergesetz (Kosename „Reinheitsgebot“) am Markt kursieren.
Irrtum No 1: „Das Reinheitsgebot heißt Reinheitsgebot“.
In Wahrheit hat das, worum es sich hier dreht, nie so geheißen. „Reinheitsgebot“ ist ein Kosename, der erst im März 1918 aufkommt. Er bezeichnet eine rechtliche Norm, welche in der „Landesverordnung“ vom 23. April 1516 begründet ist und heute „Vorläufiges Biergesetz“ heißt.
Irrtum No 2: „Das Reinheitsgebot ist das älteste noch gültige Lebensmittelgesetz“.
Tatsächlich haben sich Inhalte und Vorgaben im Laufe der 500 Jahre mehrfach und auch in entscheidenden Punkten geändert. So war schon um 1551 die Verwendung von Lorbeer und Koriander als Zutaten zum bayerischen Bier erlaubt. Die Beschränkung auf Hopfen und Malz wurde erst 1868 (!) wieder eingeführt – aus fiskalischen Gründen.
(Diese Information haben wir aus dem Blogeintrag von „Bier-Scout“ Norbert KRINES, der freundlicherweise auch diesen Artikel durchgesehen hat. Seine Anmerkung zur letzten Satz: „Im Landtagsabschied vom 10. November 1861 soll der Begriff auch schon verwendet worden sein. Leider habe ich in der Staatsbibliothek in München keine Originalquelle als Faksimile dazu gefunden“.)
Irrtum No 3: „Das Reinheitsgebot gilt nur für Produkte, die unter „Bier“ in den Verkehr gebracht werden“.
Die irrige Annahme: Ein Bier das nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut wurde, kann als „Brauspezialität“ auf den Markt gebracht werden. Tatsächlich gilt, vor allem in Bayern: Egal wie das Produkt genannt wird, wenn es wie Bier aussieht und einem Bier auch sonst „ähnlich“ ist, fällt es unter das Reinheitsgebot. Auch „Brauspezialitäten“ oder „Malzgetränke“ würden und werden daher, wenn sie Bier ähnlich sind, aus dem Verkehr gezogen.
Irrtum No 4: „Das Reinheitsgebot erlaubt zur Bierherstellung ausschließlich die Verwendung von Hopfen Wasser, Hefe und Malz“.
Tatsächlich ist – unter anderem – die Verwendung von „technisch reinem Rohr- Rüben- oder Invertzucker sowie von Stärkezucker und aus Zucker der bezeichneten Art hergestellten Färbemitteln“ gestattet. Demnach dürfen nach dem „Reinheitsgebot“ Industriezucker, nicht aber hochwertiger Honig (etwa zur Bereitung von Honigbier nach uraltem Rezept) verwendet werden. Die große Ausnahme bildet dabei Bayern. 1906 hat man sich nicht nur den Freistaat-Status ausbedungen, sondern auch das strikte Festhalten am Reinheitsgebot – ohne Ausnahmen von der Regel.
Es gibt außerdem eine lange Liste von erlaubten Hilfsstoffen, die im Rahmen der Produktion eingesetzt werden dürfen. Sie fallen nicht unter „Zusätze“, weil sie der Flüssigkeit wieder entnommen werden. (z.B. Klärungsmittel). Dazu ein Zitat aus dem Vorl. Biergesetz, §9 Abs 6 bis auf gesundheitlich, geruchlich und geschmacklich unbedenkliche, technisch unvermeidbare Anteile.
Irrtum No 5: „Das Reinheitsgebot gilt für ganz Deutschland gleich.
Die Spruchpraxis unterscheidet sich in Deutschland von Bundesland zu Bundesland. Und zwar drastisch.
Irrtum No 6: „Das Reinheitsgebot kennt keine Ausnahmen“.
Tatsächlich gibt es mehrere Ausnahmen. In Bezug auf alte Traditionsstile, wie Berliner Weiße (Milchsäurenachgärung) oder Leipziger Gose (Salz, Koriander). Oder in Bezug auf juristisch erstrittene, wirtschaftlich begründete Ausnahmegenehmigungen (Spargelbier, Kirschbier). In Bayern gibt es allerdings keine solchen Ausnahmegenehmigungen. So durfte zum Beispiel die Marke Köstritzer in Thüringen ein Witbier auf den Markt bringen, Christian Hans Müller wurde hingegen dasselbe im Nachbarland Bayern verboten.
Irrtum No 7: „Das Reinheitsgebot ist der einzige Garant für reine Biere“.
Keinesfalls. Nicht nur Gerste oder Weizen, sind rein, wertvoll und von der Landwirtschaft erzeugt. Es gibt eine Vielzahl von weiteren hochwertigen Rohstoffen aus der Natur, die man zum Brauen gut verwenden kann.
Irrtum No 8: „Das Reinheitsgebot ist ein Einheitsgebot“.
Tatsächlich ist auch innerhalb des Reinheitsgebots eine enorme Biervielfalt möglich. Es ist erstaunlich und begeisternd, wie groß die Vielschichtigkeit an Geschmäckern, Intensitäten, Texturen, Farben in den Bieren ist, die von den (deutschen) Braumeisterinnen und Braumeistern hergestellt werden.
Irrtum No 9: „Das Reinheitsgebot verhindert, dass giftige Stoffe ins Bier geraten“.
Wie sollte ein Gesetz das verhindern können? Man braucht sich nur die jüngste „Glyphosat-Diskussion“ ansehen. Pestizide, die beim Getreide- und oder Hopfen Anbau eingesetzt werden, geraten leider in alle so gewonnen Lebensmittel, also auch in das Bier. Zum Glück (siehe erneut „Glyphosat“) meist in sehr geringen Mengen, die meist deutlich unter „Schwellenwerten“ liegen.
Irrtum No 10: „Das Reinheitsgebot ist Kandidat für das immaterielle Weltkulturerbe“.
War. Wurde aber nicht aufgenommen. Aus der Begründung des Auswahlgremiums: „Hier stand die Lebensmittelvorschrift zu sehr im Vordergrund. Wir hatten auch den Eindruck, dass die Bierproduktion inzwischen sehr industriell geprägt ist. Der Mensch als Wissensträger der Brautradition scheint zunehmend eine nachrangige Rolle zu spielen.“
Irrtum No 11: „Das Reinheitsgebot schafft eindeutige Produktbezeichnungen“.
Zur Erinnerung: Gerste stand in der Verordnung von 1516! Folglich dürfte der Satz „gebraut nach dem Reinheitsgebot von 1516“ nur am Etikett von Bieren aus Gerstenmalz stehen. (Nähme man diesen Satz sprachlich genau, dürfte er nur auf Produkten stehen, die aus Gerste – Rohfrucht – und nicht aus Gerstenmalz gebraut werden. Aber solche Biere dürften ja nach der gültigen Durchführungsbestimmung gar nicht Biere heißen und vor allem nicht in den Verkehr gebracht werden).
Der Einsatz dieses Spruchs auf einer Weißbierflasche ist aber besonders dreist. Das meinen auch die Gerichte. Denn erst vor kurzem musste eine große bayerische Weißbierbrauerei in einem diesbezüglichen Rechtsstreit mit einer Verbraucherzentrale klein beigeben. Sie darf die Falsch-Aussagen ab Mitte 2016 nicht mehr auf ihre Flaschen schreiben.
Irrtum No 12: „Das Reinheitsgebot verbietet die Herstellung von (Craft-) Bierstilen wie IPA oder Stout“.
Natürlich nicht. IPA (India Pale Ale) riecht so fruchtig, weil Hopfensorten eingesetzt werden, welche Öle enthalten, die das Bier fruchtig duften lassen. Stout duftet nach Kaffee und Schokolade, weil geröstetes Malz solche Aromen ins Bier zaubern kann. (Achtung: Original-Rezepturen für Stout enthalten aber – unvermälzte – Röstgerste. Gerste war ja in der Landesverordnung von 1516 ausdrücklich erlaubt! Ein Bierrezept, das unvermälzte Röstgerste enthält, ist also ganz nahe am Ursprungstext des „Reinheitsgebotes“).
Irrtum No 13: „Das Reinheitsgebot macht das Brauen von Craft Bier in Deutschland unmöglich“.
Die meisten Craft-Biere, vor allem jene, die in Deutschland gebraut werden, werden nach dem Reinheitsgebot gebraut. (So man überhaupt eine Grenze zwischen Klassik & Craft ziehen will).
Ausgezeichnetes Material zu diesem Thema:
NORBERT KRINES im Bierblog „BIER-SCOUT“: http://bit.ly/2K6ITIY
MORITZ GRETZSCHEL im Bierblog „BRUNNEBRAEU“: http://bit.ly/2F6BfuE
PRIVATE BRAUEREIEN: Auf der Webseite der Privaten Brauereien finden Sie auch den ORIGINALTEXT der Landesverordnung von 1516 in einer Transkription in Neuhochdeutsch. www.private-brauereien.de